Stifti-Segelabenteuer 2022: Von Kiel nach Ærø

Vom 17. bis 20. September 2022 unternahm ich mit acht weiteren Stipendiat*innen der Studienstiftung des deutschen Volkes an Bord der Thor Heyerdahl einen Segeltörn von Kiel nach Ærø in die Dänische Südsee.

"Habt ihr Lust, auf einem Traditionssegler die Dänische Südsee zu erkunden? Das wird ein wunderbares Abenteuer", versprach uns Carlotta Schwertfeger, als sie in der Regionalgruppe von ihrem Herzensprojekt als Sprecherin erzählte: Uns auf dem Toppsegelschoner Thor Heyerdahl willkommen zu heißen. Auf Grund von Carlottas jahrelanger Erfahrung als Mitglied der Stammcrew und ihrer Berichte von Sonnenuntergängen über dem Meer, wogenden Wellen und der Gemeinschaft an Bord, meldete ich mich voller Vorfreude an. Die geweckten Sehnsuchtsbilder inspirierten sieben weitere Stipendiat*innen an einem regnerischen Samstag dazu, mit Carlotta an Bord der Thor Heyerdahl zu gehen. Die Hälfte der Stiftis gehörte wie ich zur Regionalgruppe Kiel-Flensburg. Die andere Hälfte hatte von dem Segelabenteuer über das Forum der Studienstiftung gehört und war zum Teil sogar aus dem Ausland angereist.

 

Samstag: Leinen los!

Die wochenlange Vorfreude war zu Aufregung geworden. Bepackt mit warmer Kleidung und Regenzeug ging ich an Bord der Thor Heyerdahl. Wir wurden über das Schiff geführt und mit drei weiteren Stipendiatinnen bezog ich eine Kabine unter Deck. Bevor wir am späten Nachmittag vom Seefischmarkt in Kiel ablegten, teilte der Kapitän der Thor Heyerdahl alle Mitreisenden in vier Wachen mit je zwei Wachführenden aus der Stammcrew ein. Gemeinsam würden wir als ca. 40-köpfige Besatzung den Dreimaster segeln. Dazu gehörte jedoch viel mehr, als die Segel zu setzen und Manöver zu fahren: Zu kochen, das Schiff zu putzen und zwei Mal am Tag für drei Stunden Wache zu halten. Segelkenntnisse waren nicht notwendig, denn an Bord wurde uns von der Stammcrew alles geduldig und auch gerne mehrmals erklärt.

Gleich am ersten Abend meldete ich mich für die ‘Backschaft’. In der Kombüse, wie die Küche eines Schiffs genannt wird, kocht im Schichtbetrieb immer eine andere Gruppe, die Backschaft hat. Mit leckerem Essen sorgt die Backschaft für das leibliche Wohl der gesamten Crew und damit auch für deren Einsatzfähigkeit. Das gemeinsame Kochen brachte viel Spaß. Von Spaghetti über Kürbissuppe bis hin zu Schokokuchen mit Vanilleeis überraschten mich die Mahlzeiten positiv mit der Liebe und Sorgfalt, die jede Backschaft investierte. Die Backschaft verteilt nicht nur in der Messe das Essen und Trinken, sondern muss auch den folgenden Großabwasch meistern. Im Spülwasser bekam ich endlich wieder warme Hände und war dank meines Einsatzes von der anstehenden Nachtwache befreit. Doch so kam ich erst in der Sonntagnacht in den Genuss der tausenden Sterne, die am Himmelszelt funkelten. Die Thor Heyerdahl lag ruhig vor Anker und das Mondlicht des Halbmonds tanzte auf den Wellen.

 

Sonntag: Wir segeln bis nach Ærø und die Seekrankheit schlägt zu

In Strande vor Anker liegend, begann der Tag mit einem rosafarbenen Sonnenaufgang. Wie es sonntags und donnerstags auf Schiffen Tradition ist, gab es ein festliches Frühstück. Anschließend ging es für mich mit meiner Wachgruppe auf unseren Posten an Deck und wir bekamen eine kurze Einführung in grundlegende Begriffe und Kommandos. Unter Anleitung des Kapitäns hissten wir nach und nach die Segel und drehten dabei den Bug der noch vor Anker liegenden Thor Heyerdahl. Das Manöver gelang. Den Wind in den Segeln brachen wir in Richtung Dänische Südsee auf.

Die Thor Heyerdahl schoss mit bis zu 6,7 Knoten (= 12,4 km/h) über die Wellen und erreichte gegen Mittag eine beträchtliche Schieflage. Der Wellengang war rau und mitten im Großputz schlug allgemein die Seekrankheit zu. Wer konnte, traf sich an Deck. Die Stammcrew hatte Steuerbord ein Netz aufgespannt, damit niemand beim "Füttern der Fische", wie die nächste Eskalationsstufe der Seekrankheit bezeichnet wird, über Bord ging. Die Augen auf den Horizont gerichtet, saßen wir da und knabberten Brot, damit der Kreislauf stabil blieb. Nach einiger Zeit konnte ich sogar den schaukelnden Wellengang und die Gischt genießen, die über die Reling spritzte – allerdings nur, weil ich mein wasserdichtes Regenzeug trug. Andere waren leider noch weniger seefest und mussten unter Deck in ihren Kojen ausharren. Die Stammcrew hielt mit einigen Verbliebenen, inklusive einer seefesten Stipendiatin, das Schiff am Laufen, kochte ein größtenteils verschmähtes Mittagessen und trotzte den Hagelkörnern, die bei einem später aufziehenden Unwetter auf das Deck niedergingen.

Spätestens als wir im Windschatten der Insel Ærø vor Anker lagen, waren alle wieder von der Seekrankheit kuriert. Nach dem Abendessen versammelten wir uns in der Messe und sangen zu den Gitarrenklängen eines Stipendiaten gegen den pladdernden Regen an.

 

Montag: Von Sonnenschein zu Gewittersturm

Im Sonnenaufgang setzte ein großer Teil der Besatzung im Schlauchboot über nach Ærø. Einige Stipendiat*innen wanderten die malerische Küste entlang und die Kälteunempfindlichen trauten sich sogar, ein Bad in der Ostsee zu nehmen. Ich nutzte die kurzfristige Ruhe an Bord für eine lang ersehnte Dusche und einen Rundgang über das Schiffsdeck.

Nach dem Frühstück brannte die Sonne vom Himmel und wir bekamen eine Einweisung in das Klettern in der Takelage. Betreut von den Wachführenden und ausgerüstet mit Sicherheitsgurt, konnte jede*r so hoch in die Wanten steigen, wie das eigene Zutrauen oder die Höhenangst es zuließen. Alternativ gab es unter anderem die Möglichkeit, auf dem Rescue-Boot zwei Mal die Thor Heyerdahl zu umrunden, dann richtig Gas zu geben und über die Wellen zu fliegen. Das war mein absolutes Highlight, dicht gefolgt vom nächtlichen Sternenhimmel und mit 6,7 Knoten über das Meer zu segeln!

Verwöhnt vom Sonnenschein traten wir nach dem Mittagessen unter Segeln den Rückweg an. Das erste Wendemanöver gelang hervorragend. Doch noch während der Kapitän uns das nächste Manöver, eine Halse, erklärte, zogen am Horizont dunkle Wolken auf. Das Unwetter kam direkt auf uns zu. Ein Blitz zuckte über das Wasser. Prompt folgten die ersten Regentropfen. Der Kapitän entschied sich dafür, uns erneut eine Wende fahren zu lassen, anstatt ein neues Manöver auszuprobieren. Eine weise Entscheidung, denn kurz darauf peitschte der Regen über das Deck und der Wind riss an unseren Kapuzen. Im Eifer des Gefechts quetschte sich eine Stipendiatin die Hand, als sie den Kampf um ein Tau gegen eine Bö verlor und nicht rechtzeitig losließ. Die Hand war zum Glück nicht gebrochen, sondern nur geprellt und wurde von unserer Wachführerin sofort fachkundig versorgt.

Durchnässt zog sich der größte Teil der Besatzung nach dem Manöver unter Deck zurück. Meine Wachgruppe legte mit der Stammcrew und einigen Hartgesottenen im kalten Regen die restliche Strecke bis nach Strande zurück. Das bedeutete für mich, als Ausguck nach Markierungstonnen und fremden Schiffen Ausschau zu halten, oder unter Anleitung meiner Wachführerin den Dreimaster zu steuern. Gegen den Wind brüllend, wiederholte ich die Befehle des Steuermanns und drehte das Ruder nach Backbord oder Steuerbord, um einen neuen Kurs anzulegen. Die Sonne brach durch und wir wurden mit einem doppelten Regenbogen belohnt.

 

Dienstag: Rückkehr in den Heimathafen

Nach einem strahlenden Sonnenaufgang fuhren wir am Dienstagmittag mit dem Motor in den Kieler Hafen ein und legten am Seefischmarkt an. Anschließend reflektierten wir unsere Zeit an Bord mit unseren Wachführenden. Dank ihrer beeindruckenden Segelexpertise, geduldigen Erklärungen und ihrer Rücksichtnahme auf die Möglichkeiten jedes einzelnen Wachmitglieds, habe ich mich auf der Thor Heyerdahl gut aufgehoben gefühlt. Gemeinsam haben wir auf diesem Törn Wind und Wetter getrotzt. Für mich hat es sich rückblickend sehr gelohnt, Carlotta zu vertrauen, mir etwas zu zutrauen und mal wieder die eigene Komfortzone zu verlassen.

Bevor wir von Bord gingen, wurden wir alle vom Kapitän persönlich verabschiedet. Freudig überrascht hielt ich plötzlich eine Urkunde über 76 Seemeilen in den Händen. Mit neuen sowie vertieften Bekanntschaften und einer gehörigen Portion Schlafmangel im Gepäck, kehrte ich an Land in mein vertrautes Leben zurück. Das leichte Schwanken unter meinen Füßen war ein Echo des Seegangs und erinnerte mich bis zum nächsten Tag an das Segelabenteuer an Bord der Thor Heyerdahl.

Anna Barthel

 

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